Donnerstag, 27. Januar 2011

Sind denn jetzt alle für Gesamt-Schule?

Hauptschul-Leiter in NRW wiesen in der RP jüngst darauf hin, dass ihre Schulform „unschlagbar“ sei.
Dem kann man nur zustimmen: Gute Hauptschulen sind für ihre Klientel maßgeschneidert, denn sie können sich deren besonderen Voraussetzungen und Zielen in spezifischer Weise widmen. Mit der aus erfolgreichen Berufsqualifikationen gewonnenen Erfahrung können sie ihre Schüler weiterhin flexibel vorbereiten auf die Erfordernisse der sich verändernden Arbeitswelt. Sie können sich – insbesondere auch auf der Grundlage eines besonders engen Kontakts zu den Firmen der Region - konzentrieren auf individuelle Förderung, auf Praktika und alle weiteren Formen und Projekte der Berufsorientierung und -qualifikation. Die im Kontext der gesamten Arbeit dieser Schulen greifbare Perspektive auf das Erreichen eines Ausbildungsplatzes kann letztlich eine gute Basis schaffen aus Motivation, Selbstvertrauen und die, die wollen, zu größerer Anstrengung mobilisieren.
Dass es dennoch für deren Schüler schwierig bleibt, den Schritt in die Berufswelt erfolgreich zu absolvieren, spricht nicht gegen das Gesagte – im Gegenteil.
Man muss allerdings mit Bedauern sehen, dass die Schulform Hauptschule immer weniger von Schülern und Eltern gewählt wird.
Der Zusammenhang dieser Entwicklung mit dem Feld der sozialen Probleme ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Und es mag auch eine große Rolle spielen, dass Medienberichte über Vorkommnisse oder andauernde Problematiken an Hauptschulen, die in sozialen Brennpunkten liegen, große – und vielleicht überproportionale - Aufmerksamkeit bekommen haben. Aber auch hier sind Hauptschulen - wenn man ihnen Mittel und geeignetes Personal zusätzlich zur Verfügung stellt sowie eine Zusammenarbeit mit den Partnern der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit fördert – in besonders qualifizierter Weise in der Lage, mit den Problemen umzugehen.
Man sollte den Hut ziehen vor den vielfältigen Projekten, Kooperationen und zusätzlichen Aktivitäten, die die Hauptschulen heutzutage unternehmen, um ihren Schülern einen lebens- und berufsqualifizierenden Abschluss zu ermöglichen.
Man muss aber einfach sehen, dass die sozialen Probleme gesellschaftliche Probleme sind und nicht erst solche, die an oder durch Hauptschulen entstehen.

Nur Menschen, die zu der Sichtweise neigen, Dinge, die man unter den Teppich kehrt, seien de facto nicht mehr vorhanden, können m. E. angesichts der geschilderten Sachlage die rasche Lösung anpreisen, mit dem Abschaffen der Hauptschulen zunächst auch alle Probleme verschwinden zu lassen.

Leider gibt es nun aber noch eine weitere Ursache für die zurückgehende Zahl der Hauptschulen und Hauptschüler in NRW: Die demografische Entwicklung und dadurch insgesamt deutlich rückläufige Schülerzahlen, eben auch an Hauptschulen.
Und so ist es unausweichlich, dass an etlichen Standorten Hauptschulen ihre zum Bestand nötigen Schülerzahlen verlieren – mit zunehmender Tendenz.

Dies scheint nun auch die CDU in NRW dazu bewogen zu haben, dazu überzugehen, die von ihr favorisierte Differenzierung nach Schulformen insoweit aufzugeben, als man sich nun auch Formen der Zusammenlegung und Kooperationen stärker öffnen will.

Mag es nun daran liegen, dass der eine oder andere Parteiobere sich in der Bildungspolitik nicht zureichend differenziert genug geäußert hat, mag es daran liegen, dass andere Parteien die günstige Gelegenheit sahen, sofort zu behaupten, die CDU schwenke ein auf Gesamtsysteme, mag es sein, dass die CDU nicht schnell genug einen griffigen Namen gefunden hatte für das, was sie wollte, jedenfalls war das Ergebnis eindeutig eine Verwirrung der Leute im Lande.
Der inzwischen im Bildungsföderalismus geradezu ertrinkende Bürger hat ja ohnehin Schwierigkeiten, angesichts der ca. 50 (!) Schulformen und -modelle in den 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland Unterschiede im Grundsatz, geschweige denn im Detail, zu benennen.

Und so steht in NRW plötzlich die Frage im Raum: Sind denn jetzt alle für Gesamt-Schule?

Gemach, gemach.

Es ist aus meiner Sicht ein fundamentaler Unterschied,
- ob man aus oben genannten Gründen bereit ist, da, wo bestehende Schulformdifferenzierungen sich nicht mehr sinnvoll realisieren lassen, Kooperationen und organisatorische Zusammenlegungen zu planen
- oder ob man - nach dem Motto „Eine Schule für alle“ – so rasch wie möglich alle Schulformdifferenzierungen überwinden möchte, um als Ziel flächendeckend ausschließlich Gesamtsysteme zu errichten.

Mir ist dieser Unterschied sehr klar. Und für mich ist auch die ideologische Differenz deutlich zu benennen:
- Für die einen ist es der richtige Weg, Gleichheit der Chancen und Gerechtigkeit des je individuell Erreichbaren zu erlangen über gezielte Förderung aufgrund so weit wie nötig differenzierender Systeme.
- Für die anderen ist es der richtige Weg, Chancengleichheit und -gerechtigkeit dadurch zu gewährleisten, dass man alle so lange wie möglich gemeinsam lernen lässt.

Dass für mich die Ergebnisse der nationalen und internationalen Untersuchungen und Studien eindeutig für Ersteres sprechen, wird die Leser meines Blogs nicht überraschen.

Wichtiger als meine Positionierung aber ist, dass dem Bürger als Wähler hinreichend klar ist: Es sind eben doch nicht alle irgendwie für `Gesamt´, sondern dass ihm bewusst ist, sich für die eine oder andere Seite der Münze zu entscheiden.

Und das möglichst bald - und nicht erst zur nächsten Wahl.
Denn Schulpolitik realisiert sich fortwährend – jeden Tag - derzeit in NRW.

Montag, 20. Dezember 2010

Silvesterraketen

So wie `PISA´ durch die Medien gehetzt wurde, besaß es den Unterhaltungswert von ein paar Silvesterraketen: Ankündigung, Zünden, ein kurzes Zischen, Knallen, ein paar bunte Kugeln, dann Dunkelheit, und irgendwo liegt der lästige Rest.

So war das mit der Veröffentlichung der neuen PISA-Ergebnisse; und „Unterhaltungswert“ ist noch nicht einmal der falsche Begriff. Das Fernsehen und die Print-Medien boten das oben beschriebene Ablaufmuster: Es wurde angekündigt, dass die Ergebnisse einer neuen Pisa-Studie von der OECD veröffentlicht werden würden, ein paar einzelne Ergebnisse wurden schlaglichtartig den Fernsehzuschauern und Zeitungslesern präsentiert, kaum erläutert, manchmal einschlägig einsilbig kommentiert und schon waren sie wieder aus dem Fokus des Interesses verschwunden: nächstes Thema, Terrorwarnung, Wikileaks, Schnee-Wetter.... egal was.

Und selbst bei näherem Hinsehen und differenzierterer Betrachtung bleibt die traurige Erkenntnis, dass hier ein - für Gegenwart und Zukunft eminent wichtiger - Gegenstand schon in der Darstellung durch die Medien kaum beachtet und in seiner ganzen Bedeutung und Tragweite wohl auch nicht annähernd verstanden wurde.

Schon vor dem Termin der Pisa-Veröffentlichung wurde als Schlagzeile vermarktet, Deutschland befinde sich nun knapp innerhalb der ersten Liga, nicht aber auf Champions-League-Niveau. Und schon gab es – auf dieser unglaublich dürftigen Basis - die ersten Überschriften und Kommentare, zumeist kritische. So titelt die RP vom 8.12.2010 auf der ersten Seite: „Deutsche Schüler bleiben Mittelmaß“.

Und auch am Tag der Veröffentlichung sowie an den folgenden litt die Darstellung von Ergebnissen nicht nur unter der Eile, im Vergleich mit den konkurrierenden Medien nur ja nicht zu spät dran zu sein. So wurden in aller Regel die Pressemitteilungen `zitiert´ bzw. allenfalls die Zusammenfassung durchforstet. Das Ergebnis: Die immer wiederholte Meldung, in Mathematik und den Naturwissenschaften habe man sich in Deutschland verbessert, im Leseverstehen jedoch so gut wie nicht. Und dann wurde schnell noch mitgeteilt, dass es mit dem Lesen bei den Jugendlichen gar nicht gut bestellt sei, bei den Mädchen etwas weniger schlecht als bei den Jungen.

Dabei wurde häufig schnell deutlich, dass gar nicht wenige Redakteure offensichtlich `Lesen´ und `Leseverstehen´ synonym gebrauchten. Dabei wäre es doch – selbst für Laien – leicht möglich gewesen, sich anhand der vorgestellten Beispielaufgaben klar zu machen, was beim differenzierten Vorgang Leseverstehen wirklich von den Probanden gefordert wurde. Und so griffen auch schnell laut werdende Lösungsvorschläge – mehr Zwang oder Anreize zum Lesen (je nach Liberalität) - zu kurz, denn zügig und fehlerfrei lesen können ist ja erst die erste, wenn auch eine unabdingbar wichtige Stufe zu einer Verbesserung des Leseverstehens.
Und übrigens – für Profis eine Selbstverständlichkeit: Die Förderung des Leseverstehens ist eine Aufgabe aller Fächer.

Nahezu unabhängig von dem Stand der Länder im Ranking und insbesondere ohne Ansehen ihrer Schul- und Bildungsstrukturen entfaltete sich auch wieder mit rasanter Geschwindigkeit die leidlich bekannte Ideologie-Debatte: Wir brauchen mehr Gesamtsysteme! Und als zusätzliche Variante: Wir brauchen mehr Ganztagsschulen! So Fraktionsgeschäftsführer Oppermann, SPD, indem er alle Kinder aus „Nicht-Akademiker-Haushalten“ für grundsätzlich benachteiligt erklärte wie auch Grünen-Vorstand Özdemir, der flugs den Ganztag flächendeckend als Regelschule einforderte.

Kein Wort dazu, ob sich die – aufgrund vorhergehender Pisa-Ergebnisse - als beispielhaft gepriesenen skandinavischen Länder denn in ihrem Stand überhaupt haben halten können.
In der Tat haben sich nämlich im Bereich des Leseverstehens Schweden um 19 Punkte, Finnland um 11 Punkte sowie Norwegen und Dänemark um 2 Punkte verschlechtert und Deutschland um 13 Punkte verbessert?
War das mangelndes Leseverstehen der Redakteure oder bewusstes Verschweigen, weil das nicht ins ideologische Vorurteil passte? Hatten doch vorher etliche deren Gesamtsysteme (egal, ob sie wirklich strukturell schlicht darauf zu reduzieren waren) als Hauptgrund für deren „Überlegenheit“ ausmachen wollen.

Kein Wort davon, dass die Gymnasien in Deutschland nach wie vor eine der festen Säulen sind, die im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe liegen und damit insgesamt ein zufriedenstellendes Abschneiden garantieren.

Kaum irgendwo zu lesen, was denn etwa die Förderung frühkindlicher Bildung, die Veränderung der Didaktik im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften, das Einwirken auf die Einstellung der Elternhäuser zu Schule und Bildung oder die erhöhte Intensität, mit der Risikoschüler gefördert wurden, wirklich an Verbesserungen bewirkt haben.

Wer hat je gelesen, wie in Korea, dem Mathematik-Sieger, dieses Fach unterrichtet wird? Wer hat gelesen, wie in Shanghai, Hongkong oder Singapur die Naturwissenschaften – darin sind sie die Besten - vermittelt werden? Könnte das mit Unterrichtsformen zu tun haben, die wir in Bezug auf unsere Erziehungsziele einfach so nicht wollen? Es gibt an Universitäten so viele Vorlesungen, weil das eine äußerst dichte Form der Stoffvermittlung ist – wollen wir deshalb etwa umstellen auf vornehmlich Frontalunterricht mit Lehrervorträgen? Wollen wir das Ranking, das einige Länder durch private Nachhilfe und ihre Strukturen zusätzlichen Lernens erlangen, wirklich so auch erreichen?

Wer hat das Folgende gelesen: „Die Pisa-Ergebnisse deuten darauf hin, dass Systeme, die höheren Lehrergehältern Priorität vor kleineren Klassen einräumen, in der Regel bessere Leistungen erzielen, was sich mit Forschungsergebnissen deckt, denen zufolge eine Erhöhung der Lehrerqualität ein effektiverer Weg zur Verbesserung der Schülerleistungen ist als die Einrichtung kleinerer Klassen.“?
- Was könnte das bedeuten für eine Lehrereinheitsbesoldung, wenn A-14 für alle nicht bezahlbar ist?
- Was könnte das bedeuten für die Bachelor-Master-Struktur der Lehrerausbildung?

Kommen wir zurück zum Bild der ausgebrannten Raketen. Hier hinkt dieser Vergleich, denn die Hülsen sind bei weitem nicht leer nach dem ersten Feuerwerk.
Im Gegenteil: Nun begänne erst recht die Arbeit am Detail der Auswertungen und am sorgfältigen Umsetzen in Folgen für unser Schul- und Bildungssystem.

Davon hört und liest man nun aber fast nichts mehr.
Statt dessen muss man mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen, dass NRW sich den fünf Ländern nicht anschließen will, die eine gemeinsame Abiturprüfung erarbeiten wollen.
- Ich bin sicher, die Minderheitsregierung hat gar kein Interesse an einer damit gegebenen Vergleichbarkeit.
Statt dessen muss man zusehen, wie die Bundesländer in ihrer Schulpolitik immer weiter auseinanderdriften.
Und da der Motor solcher Entwicklungen auch gar nicht in Pisa-Ergebnissen oder fundierten fachlichen Untersuchungen liegt, sondern bei den Autoren von Parteiprogrammen, wird man sich weiter damit abfinden müssen, dass wir offenkundig auch bei so einem Thema wie Schule und Bildung den Leuchtkugeln unsere kurze Aufmerksamkeit schenken, uns dann aber schon vom nächsten, ganz anderen Event faszinieren lassen.

Insofern befinden wir uns im Irrtum, wenn wir denken, die Informationsgesellschaft sei zugleich auch schon eine Wissensgesellschaft.
Wir nehmen eine Unzahl von Informationen auf – zumeist solche, die an der Oberfläche liegen.
Wissen aber entsteht erst durch die Mühe, sich Fakten auch in den Tiefenstrukturen zu erarbeiten, diese zu bewerten und den vorhandenen Beständen richtig zuzuordnen – und das nicht statisch, sondern als beständiger Prozess der Verbesserung.

Bei PISA 2010 haben wir uns aber in der Regel nicht einmal die Mühe gemacht, mehr als nur ein paar Schlagzeilen aufzunehmen. Eine, zwei oder drei Raketen sozusagen.

Denken Sie bei einer der vielen Raketen einmal daran, die zu Silvester wieder für wenige Sekunden in den Himmel steigen.
Aber verzichten Sie bitte darauf, sich einfach nur ein gutes Schul- und Bildungssystem zu wünschen. – Das funktioniert nicht einmal bei Sternschnuppen.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Weil nicht alles `scheinbar´ so ist

„Reuters“ meldet am 24.11. das Folgende:
„Doppelmord von Bodenfelde scheinbar aufgeklärt; Die Ermittler sind sich sicher, dass ein 26-Jähriger die Teenager Nina und Tobias getötet hat.“
Und das „Handelsblatt“ lässt das zugehörige Video im „Video-News-Magazin“ unter eben diesem Titel-Text auf seiner Website laufen ( - übrigens bis heute).

Die „Süddeutsche Zeitung“ vermeidet den Widerspruch und lässt dieses Video unter dem gleichen Text laufen, tauscht aber das falsche Wort „scheinbar“ aus: „Doppelmord ... offensichtlich aufgeklärt ...“

Es geht um den Schein. Und in diesem - bezogen auf jedes Feld unserer Wahrnehmung und unseres Denkens - so wichtigen Punkt gibt uns die deutsche Sprache ein sehr differenziertes Mittel an die Hand, einen Unterschied zu machen, den der Duden so formuliert:
„scheinbar (nur dem Scheine nach); er hörte scheinbar aufmerksam zu (in Wirklichkeit gar nicht), aber er hörte anscheinend (= augenscheinlich, offenbar) aufmerksam zu“.

Man muss ihn nur kennen, diesen Unterschied!
Und da muss man leider feststellen, dass nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch im Sprachgebrauch, etwa der Print-Medien wie auch des Fernsehens, allzu oft und unbeabsichtigt die Vokabel „scheinbar“ benutzt wird, wo „anscheinend“ gemeint ist: „Die Bayern haben scheinbar den Meistertitel abgeschrieben.“
Man wüsste schon gerne, was der Kommentator meint: Wollen die Bayern die anderen Vereine mit dem falschen Schein täuschen oder haben sie wirklich resigniert?
Und weil der Sport ja doch nur eine schöne Nebensache sein soll, mag dieses reporterliche sprachliche Unvermögen nicht ganz so wichtig sein, aber im Allgemeinen will man doch genau wissen, was das Gegenüber denkt und meint. Soll etwas eindeutig nur als Schein entlarvt werden oder will der Sprecher offen lassen, ob es so ist oder nicht?
Was meinte z. B. der Redakteur von „Zeit- online“ in seinem Artikel (vom 21.07.2010) mit der Überschrift „Merkel lacht sich davon“, wenn er schrieb: „... Die Amtsflucht der Generation Andenpakt lässt Merkel scheinbar kalt ..“?

Schnee von gestern, ob Herr Redakteur Hauke Friederichs in seiner Schule im Deutschunterricht aufgepasst hatte oder nicht. –

Keineswegs Schnee von gestern aber ist in NRW das Folgende:

Sind `Schulfrieden´ und `Schulreform von unten´ scheinbar oder anscheinend die treffenden Begriffe für die Bildungspolitik der Minderheitsregierung in NRW?
Geht es scheinbar oder anscheinend um „Schulversuche“, wenn strukturelle und substanzielle Änderungen im Schulwesen ohne gesetzliche Grundlage durchgesetzt werden?
Wollen Ministerpräsidentin Kraft und Ministerin Löhrmann scheinbar oder anscheinend auf dem Weg über die - „Gemeinschaftsschule“ genannte - neue Schulform das Erreichen des Zieles `Einheitsschule´ nur beschleunigen?
Will die Landesregierung scheinbar oder anscheinend das Gymnasium schwächen durch eine Spaltung in G8 und G9?
Ist das scheinbar oder anscheinend „Politik ... mit Augenmaß im Handeln und mit Respekt vor dem Willen ... der Bürger ...“ (Regierungserklärung), wenn der Koalitionsvertrag erklärt: „Kopfnoten beschämen Kinder“?
Hat die ehemalige Schulministerin Behler (SPD) scheinbar oder anscheinend dazugelernt, wenn sie im November 2010 in einem Artikel für „PROFIL“ schreibt: „Die Reformpädagogik hat versagt“?
Haben die bildungspolitischen Planer in NRW nun aus `Hamburg´ scheinbar oder anscheinend gelernt?
Hat die Gegenseite – in diesem Falle die CDU als der stärkste Teil der Opposition – scheinbar oder anscheinend begriffen, dass alle neuen Modelle, die der Hauptschulflucht geschuldet sind, zwar - kommunal gesehen aus demografischen und ökonomischen Gründen - einen `Verbund´ herstellen können (hier und da müssen), aber keine `Einheitsschule´?
Hat die Nach-Pinkwart-FDP scheinbar oder anscheinend eine neue Chance, auch ihre Schulmodelle der Differenzierung von Lernen - und damit auch differenziertem Fördern - zu verpflichten statt einem diffusen niveausenkenden Gleichmachen?
Ist es den Menschen im bevölkerungsreichsten Bundesland scheinbar oder anscheinend egal, dass die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder im globalen Wettbewerb – ob man das will oder nicht – in überaus hohem Maße von der Qualität ihrer Bildung abhängen wird?

`Scheinbar´ oder `anscheinend´, Schein oder Sein – man wird in Politik und Medien auf die Wortwahl achten müssen.
Aber vielleicht ist es nicht schlecht, dass man sich gar nicht darauf verlassen kann, dass „scheinbar“ gemeint ist, wenn auf der Nachricht oder Meinung „scheinbar“ draufsteht, aber „anscheinend“ gemeint war.
So kommt man wahrscheinlich am ehesten dazu, über die Sache selbst nachzudenken: Ist sie Schein oder Sein? Ist es so, ist es nicht so oder ist beides noch offen?

Und auf das Selbst-Denken kommt es schließlich an! - Anscheinend, nicht scheinbar!

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Über Kompetenzorientierung, Bildung, Deutschland, die Türkei, den Islam und das Christentum

Bundespräsident Christian Wulff hat am 3. Oktober 2010 in Bremen - zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit – gesagt: „... der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Und am 19.Oktober 2010, in Ankara, vor der Großen Nationalversammlung der Türkei hat er gesagt: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei.“
Diese beiden Äußerungen haben – zusammen mit ihren Kontexten – breite und intensive Debatten ausgelöst und verschiedenste Meinungen dazu evoziert.

Je länger und je tiefer man über das betroffene Themenfeld nachdenkt, desto mehr merkt man, dass Bildung – sogar eine recht breite - erforderlich ist, um Antworten zu finden auf ganze Fragenbündel, die sich hier unmittelbar auftun...
Diesem Satz stimmen Sie zu?
Wenn ich aber gesagt hätte: „Es sind viele Kompetenzen nötig, um ...“. Hätten Sie dann auch zugestimmt?

Einer wachsenden Zahl von erziehungswissenschaftlich und bildungswissenschaftlich tätigen Hochschullehrern gilt diese Begriffsdifferenz keineswegs als gleichwertig, und sie ist ihnen schon gar nicht gleichgültig.
Die Kritik an den inhaltlichen Bildungs-Reformen, die seit PISA forciert wurden, und vor allem die Abkehr von „Bildung“ als Ziel - hin zu etwas Neuem, das mit „Kompetenzorientierung“ benannt wird, wächst stetig, und warnende Stimmen werden immer lauter.
Zuletzt sehr deutlich auf einem Kongress in Köln, bei dem sich – nach den „Frankfurter Einsprüchen gegen die technokratische Umsteuerung des Bildungswesens von 2005 – nunmehr ein Verein mit dem Namen „Gesellschaft für Bildung und Wissen“ gründete.
Die Warnungen der Referenten dieser Veranstaltung gingen einvernehmlich in die Richtung, dass `Kompetenz-´ und `Outputorientierung´ - verbunden mit dem Glauben an die umfassende Aussagefähigkeit von standardisierten nationalen und internationalen Tests – nur Teilbereiche von dem wiederspiegeln können, was das eigentliche Ziel von Erziehungs- und Bildungsprozessen ist.
Insbesondere emotionale, ethische und soziale Fähigkeiten, der beständig wachsende Aufbau einer individuellen Lernkultur und Kultur, Meinungen und Kritik auf der Basis einer Metaebene, u. a. blieben im Rahmen der Testverfahren und der daraus gebildeten Rankings so gut wie unbeachtet – so der Vorwurf.
Auch die Eigenschaft breiten Wissens, vor allem zunächst nur Voraussetzung zu sein für analytische und synthetische Verstandestätigkeiten, schließlich für umfassende Urteilsbildung, blieben auf den Fotoplatten der Wissens- und Kompetenztester sozusagen unterbelichtet.
Vor allem aber fehle es den kompetenzorientierten Bildungskonzepten am Verständnis dafür, dass Bildung ein Begriff ist, der etwas Ganzheitliches meint; etwas, das nur als gelingendes Zusammenspiel seiner Teile diesen Namen verdient: Das Können, auf der Sachebene Passendes zusammenzufügen wie auch das Zusammenwachsen eines organischen Ganzen auf der Seite der Person.
Dass von einigen Kritikern dabei der Wirtschaft unterstellt wird, sie unterstütze mit ihren Forderungen an die Ziele von Schule und Hochschule einen Typus von Absolventen, für den es das - eben nur scheinbar - Beste sei, in mehrfacher Hinsicht `markttauglich´ zu sein, soll hier nicht verschwiegen werden.
Mein Interesse hier aber ist es, am Beispiel zu prüfen, ob für die Beurteilung und zureichende Beantwortung wesentlicher Fragen bereits `Kompetenzen ´ hinreichen oder ob es doch der umfassender gedachten `Bildung´ bedarf.

Kommen wir dazu zurück auf die beiden Sätze des Bundespräsidenten.

1. „... der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Was muss man – um dieser vom Bundespräsidenten getroffenen Verbindung zuzustimmen - wissen über den Islam, über seine gesellschaftlich-politische und seine religiöse Bedeutung?
Was muss man wissen über seine Historie und seine wichtigsten gegenwärtigen Ausprägungen?
Was muss man wissen über Deutschland – politisch, historisch und vor allem über das gegenwärtige Verständnis von Ethik und Religion?
Was muss man wissen über die Kompatibilität von Grundsätzen des Islam mit den Grundsätzen unserer Verfassung?
Was bedeutet hier das Verb „gehören zu“? – Ist das so wie bei der Feststellung: `Zum Winter gehört Schnee´, oder wie bei: ` Stau gehört zur Autobahn´?
Stellt das Wort „auch“ den Islam gleichberechtigt neben anderes, und wenn ja, in welcher Hinsicht?
Was rechtfertigt die Einschätzung, es sei „inzwischen“ so?

Entscheidend in unserem Kontext aber ist: Braucht man zur Beantwortung dieser – und vieler weiterer hier relevanter - Fragen eine umfassende, vernetzte Bildung, oder reicht eine gewisse Anzahl einzelner Kompetenzen?

2. „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei.“
Was muss man – um dieser vom Bundespräsidenten getroffenen Verbindung zuzustimmen - wissen über die Türkei, über ihre gesellschaftlich-politische und über ihre religiöse Geschichte?
Was muss man wissen über das Christentum in der Türkei, seine Historie auf diesem Territorium und seine gegenwärtigen Existenzbedingungen dort?
Was muss man wissen über den Islam und die Scharia in ihrem Anspruch gegenüber anderen Religionen?
Was rechtfertigt die Feststellung, dies sei „zweifelsfrei“ so; und teilt die Türkei diese Sichtweise?
Und ist das ein anders Verständnis von „gehört zu“, wenn man im einen Fall „inzwischen“ und im anderen Fall „zweifelsfrei“ hinzufügt? - Das wird doch gewiss im Falle solcher Leitsätze in zwei korrespondierenden Reden des Bundespräsidenten nicht eine zufällig oder beliebig so getroffene Wortwahl gewesen sein.

Auch hier aber ist das in unserem Kontext Entscheidende: Braucht man zur Beantwortung dieser Fragen die kritische Urteilsfähigkeit des Gebildeten oder reicht das, was standardisierte Tests an Kompetenzen abprüfen können, um diese und die zahlreichen weiteren Fragen zu Satz zwei des Bundespräsidenten beantworten zu können?

Und generell ist die Frage, ob es reicht, wenn man zum „Zeitalter der Aufklärung“ etwas sagen kann, was man wohlfeil beim Nachschlagen im Lexikon oder im Internet finden kann oder bedarf es der - in breite Bildung gebetteten- einordnenden Sicht, um den gewaltigen Umbruch zu verstehen, den der geistige und über so viele Jahrzehnte laufende Prozess der Aufklärung bis heute auf den Weg in unsere mitteleuropäische Gesellschaft gebracht hat?
Kann man sich begnügen mit dem Aussprechen von Zitaten wie „Wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ oder sollte man die Dimensionen von Freiheit und Verantwortung, die (u.a.) darin liegen, erst wirklich verstehen?
Kann man Begriffe wie „Mündigkeit“, „Menschenrechte“, „religiöse Toleranz“, „Trennung von Kirche und Staat“ aussprechen wie in einem abgelesenen Referat oder muss man erst verstehen, welche immensen neuen Horizonte (Chancen wie Risiken) sich dem Individuum eröffnen, wenn es die Entscheidungsverantwortung nicht mehr der es umgreifenden Gesellschaft überlassen kann, sondern wenn es selbst – und ganz allein – Entscheidungen zu treffen und zu verantworten hat?

Ich finde, die Menschen mutig, die etwa `bei Maischberger´ oder in anderen Rederunden der Öffentlichkeit ihre Meinung kundtun zum Schlagwort „Integration“, denn ich bin sicher nicht der Einzige, der voraussetzt, dass sie dies nur tun, wenn sie zumindest annähernd im Besitz oben skizzierter Bildung sind – oder gibt es doch zu viele leichtfertige Selbstdarsteller (und Moderatoren) im Fernsehen..?

Für die Schulen und ihre Schüler jedenfalls sollten wir wirklich darauf dringen, dass die gegenwärtig vorherrschende pädagogische Meinung, das Testen der Ergebnisse von kompetenzorientierten Lehrplänen sei hinreichend als Kontrolle des `Outputs´, stets ergänzt wird durch die Forderung, Schule habe nicht mehr und nicht weniger als „Bildung“ (und damit auch Erziehung) zu leisten - als unabdingbar zum Wesen mündiger Individuen gehörend.

Auch das ist für mich ein – bis heute gültiger – Auftrag aus dem Geist der Aufklärung.

Montag, 4. Oktober 2010

Das Prinzip Ascheberg

Das Prinzip scheint zunächst einfach und vielfältig aus der Natur bekannt: Eine Falle wird aufgebaut und dann wartet man auf Opfer.
Die Spinne zum Beispiel: Sie spannt ein Netz an strategisch günstiger Stelle und wartet auf Insekten, die in Eile, mit Blick auf vermeintlich nahe lohnende Ziele und vor allem ohne die nötige Übersicht ins Netz hineinfliegen. Auch der Rest ist bekannt: Das Insekt wird sein Versehen teuer bezahlen, der Spinne wird es zum Vorteil geraten.

Blicken wir hierzu nach Ascheberg, ich verspreche: Es lohnt sich, genauer hinzusehen!

Ascheberg, also, im Süden des Münsterlandes gelegen. Man hat dort etwa 15.000 Einwohner. Es sind 25 Kilometer bis Münster, 29 km bis Hamm, 22 km bis Ahlen (jew. von Zentrum zu Zentrum). Sitze im Gemeinderat: CDU 16, UWG 8, SPD 5, FDP 3.
Man findet drei Grundschulen, eine Hauptschule, eine Realschule und eine Förderschule. Die im hier gegebenen Zusammenhang besonders interessanten Schülerzahlen für 2008 waren: Hauptschule 232 , Realschule 484, Förderschule 98. Zu weiteren Schulformen und -stufen heißt es auf der Website der Gemeinde: „Weiterführende Schulen mit der Sekundarstufe II befinden sich in den Nachbarkommunen Werne, Lüdinghausen, Nordkirchen und Münster.“

Diese Schulstruktur wird nicht mehr lange gelten, denn man hat im April 2009 einen schulpolitischen Beschluss gefasst:
Wir führen eine „PROFILSCHULE“ ein:
„Nachdem sich in einer Elternbefragung 3/4 der Erziehungsberechtigten für die "profilschule ascheberg" ausgesprochen hat, wurde der Bürgermeister vom Rat der Gemeinde am 06.10.2009 einstimmig beauftragt, beim Schulministerium den Genehmigungsantrag zu stellen.“ (Quelle: Website der Gemeinde)

Das „Pädagogische Konzept“ ist nun aber keineswegs auf `lokalem Mist´ gewachsen, sondern man hat sich landes-schulpolitisch `beraten´ lassen: „In den letzten Monaten hat eine Gruppe, bestehend aus Schulleitern und Pädagogen aller Schulformen aus Nordrhein-Westfalen das pädagogische Konzept für eine solche Schule mit prägenden Profilen erarbeitet. Wir haben die angestrebte Schule deshalb Profilschule Ascheberg genannt.“ (Päd. Konzept, S. 6)
Die Struktur sieht im Wesentlichen so aus:
In den Stufen 5 – 8 gemeinsamer Unterricht im Klassenverband, ergänzt durch ein „Profil“ aus: Latein, Französisch, Hauswirtschaft/Technik oder Naturwissenschaften (Biologie, Chemie und Physik).
In den Stufen 9 und 10 gemeinsamer Unterricht im Klassenverband mit dem „Profilangebot“ aus: Spanisch, Niederländisch, Sport und Gesundheit, Mathematik und Informatik, Orchester oder Technik
sowie (in 9 und 10) zwei Leistungsstufen in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften.
Sog. „selbstgesteuertes Lernen“ („SegeL“) steht im Mittelpunkt und führt schon alleine deshalb durch die Jahrgangsstufen aufwärts, weil es zum Stichwort „Versetzungen“ heißt:
„In der Profilschule Ascheberg ist die Versetzung der Regelfall. Die Wiederholung einer Klasse ist nicht notwendig. Stattdessen reagiert die Schule flexibel und nachhaltig mit individueller Förderung auf kleine und größere Leistungsschwierigkeiten. Eltern haben aber das Recht, ihr Kind eine Klasse wiederholen zu lassen.“ (S. 27)

Und zu den Abschlüssen wird gesagt: „Am Ende der Klasse 10 finden die zentralen Abschlussprüfungen des Landes NRW statt. Die Profilschule Ascheberg vergibt alle Abschlüsse und Berechtigungen der Sekundarstufe I, die in Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule vergeben werden ...“ (S. 27)
Und ein erstaunlicher Zusatz besagt: „Die Abschlussbedingungen werden in einer gesonderten Abschluss- und Prüfungsordnung festgelegt.“ (S. 27)

Nicht unterschlagen werden soll in diesem Zusammenhang, dass das pädagogische Konzept lang und breit ausgeführt wird und sich durchaus – wohl nicht nur für die Laien-Bildungspolitiker im Rat – als attraktiver Text darstellt.
So heißt es z.B.: „Speziell ausgebildete Förderlehrerinnen und -lehrer und sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte ergänzen die Lehrerschaft, um dem besonderen Förder- und Forderkonzept gerecht zu werden.“(...) „Die Pädagogen sorgen durch schriftliche Vereinbarungen zwischen Schülern, Eltern und Pädagogen dafür, dass das Erreichen der vereinbarten Erziehungsziele gelingt.“ (...) „ Die Pädagogen nehmen alle Schülerinnen und Schüler in ihrer Individualität und Einzigartigkeit wahr und unterstützen sie in der Entwicklung zu einer selbstbewussten Persönlichkeit, die in der Lage ist, eigene Interessen zu definieren und selbstverantwortlich zu handeln; sie helfen ihnen eigene Stärken und Schwächen zu erkennen, Strategien zu entwickeln, die eigenen Ressourcen gut zu nutzen und weiterzuentwickeln.“ (...) „In der Profilschule Ascheberg wird ein Raumangebot geschaffen, das im Bereich der Klassenräume, der Teamräume und der Fachräume den Anforderungen der Teamschule und des selbstgesteuerten Lernens in der Ganztagsschule Rechnung trägt. Die Materialausstattung für Klassenräume mit zum Teil speziellem Unterrichtsmaterial wird dem Anspruch der individuellen Förderung gerecht. Um eine zeitgemäße Medienpädagogik zu gewährleisten, werden Räume mit Internet und Beamer ausgestattet. Über eine darüber hinaus gehende Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit Laptops soll in den Schulgremien entschieden werden, wenn ein noch zu entwickelndes Medienkonzept der Schule vorliegt.“

So weit Ascheberg, das klingt alles gut, teuer und pädagogisch ambitioniert. – Höchste Zeit, das Ganze mit Blick auf das ganze Land NRW einzuordnen:

Das Unternehmen „Profilschule“ versteht es geschickt, sich nicht als herkömmliche Gesamtschule zu verkaufen, sondern als im Rahmen des § 25 des Schulgesetzes möglichen „Schulversuch“. Und das, obwohl die ganze Sache durchaus auch als Gesamtschule hätte laufen können.

Nicht nur daher ist die „Profilschule Ascheberg“ in mehrfacher Hinsicht zunächst rätselhaft:

Wie kam es zu der o.g. Beratung durch ein `landesweites Planungsgremium´, das ja offenbar das strukturelle und pädagogische Konzept lieferte?
Wie konnte man sicher sein, Versprechungen zu pädagogisch personell aufwändigen Konzepten machen zu können?
Wie konnte man sicher sein, Versprechungen zu aufwändiger Raum- und Sachausstattung machen zu können?
So etwas konnte sich doch eigentlich erst aus der - von der Ministerin jüngst verkündeten - krassen Bevorzugung der Gemeinschaftsschulen ergeben.
Im Ganzen: Wie konnte das Ganze im Vorgriff so gut passen zu den Reformen der rot-grünen Minderheitsregierung, die - nach Ausweis der Parteiprogramme - über die Zwischenstufe einer gewünschten Zahl von sog. „Gemeinschaftsschulen“ zu einer reinen `Schule für alle´ führen sollen?
War die Wahl nicht erst im Mai 2010 ?

Rätselhaft – aber nur, wenn man generell an Zufälle glaubt und gerne nur die Oberfläche betrachtet. Das Verstehen sollte m. E. beginnen bei der Existenz der im Ascheberger Konzept als Urheber und Quelle genannten Steuerungsgruppe im Land NRW („... eine Gruppe ...“), die so ein Konzept entwickeln konnte.
Wer hat dieses Gremium eingerichtet? Wann? Was war der Auftrag? Wer bestimmte die Zusammensetzung? Wer bezahlt Organisation und Spesen? Und wie kam die Verbindung zu Ascheberg zustande?

Genug der Fragen; stellen wir fest:
Offensichtlich ist für den Rat einer Kommune wie Ascheberg der Reiz sehr groß, die Vielfalt der kommunalen Schulstruktur durch ein neues Gesamt-Schulmodell nicht nur zu bewahren, sondern zu erweitern. Man folgt dem Slogan vom `gemeinsamen längeren Lernen´ und fühlt sich offensichtlich nicht gehalten, ernsthaft zu prüfen, wie es denn um die Qualität der versprochenen – und später dann vergebenen - Abschlüsse in Gesamtsystemen bestellt ist. Man wird von Kommunalpolitikern ja auch kaum erwarten können, dass sie auch nur eine der zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen und fachlichen Veröffentlichungen gelesen haben, die belegen, dass differenzierte Systeme in aller Regel bessere Ergebnisse erzielen als die, in denen die Schüler unterschiedlichster Lernniveaus in den Kernbereichen des Unterrichts zusammengefasst werden.
Vielleicht hätten zumindest die Ratsmitglieder der CDU berücksichtigen können, dass daher ihre Partei auf Landesebene auf die Verbesserung des differenzierten Schulwesens setzt.
Für zahlreiche Element des Ascheberger Konzepts bedarf es nämlich gar nicht des Gesamtschulprinzips („eine Schule der Jahrgänge 5 bis 10 für alle Mädchen und Jungen, die in der Gemeinde Ascheberg leben“), man kann jederzeit die bestehenden Schulen - so oder anders - grundlegend und erheblich verbessern.
In Ascheberg und überall anderswo.

Aber es steht wohl zu erwarten, dass es weitere `Aschebergs´ geben wird . Und die Landesregierung braucht bloß zu warten, bis weitere solcher Anträge kommen, um sie dann im Ministerium als oberster Schulaufsicht – wie angekündigt – als „Schulversuch“ durchwinken zu lassen.

Und so lehrt Ascheberg, dass die schulpolitische Realität in NRW doch nicht so einfach zu erklären ist wie mit dem Prinzip der abwartenden Spinne.
Deren Vorgehen ist – gemessen an dem, was hier abzulaufen scheint – geradezu plump.

Sonntag, 12. September 2010

Bildungspolitik nach Art der Guerilla

Das Interessante ist vielleicht zunächst, dass Frau Löhrmann als neue Bildungsministerin die Dinge recht deutlich beim Namen nennt.
So stellt sie sich in einem RP-Interview vom 21.7.2010 ohne Furcht vor einem Volksentscheid wie in Hamburg dar mit dem Argument: „...Unsere Reform ist ganz anders angelegt – wir setzen auf regionalen Konsens. Wir weiten lediglich Entscheidungsmöglichkeiten aus, ohne Zwang. Es wird keinen Reformschritt auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule geben, der zentral verordnet wird. (...) Nach der Sommerpause entscheiden wir, welche Bestandteile der Schulreform wir in Gesetzesform gießen – etwa auch das Vermeiden des Sitzenbleibens und das Verbot des Abschulens.“

Da reibt man sich doch die Augen.
Die Errichtung einer bestimmten Anzahl der gewollten „Gemeinschaftsschulen“ (30 % der weiterführenden Schulen) ohne Gesetz, wesentliche Elemente der Gemeinschaftsschule sehr wohl in einem Gesetz – dann aber für alle Schulformen?

Ja, so soll das nach dem Willen der NRW-Minderheits-Landesregierung dann wohl gehen: Man regt Städte und insbesondere politisch wohlwollende und kleinere Kommunen dazu an, ihr Schulangebot auf diesem Wege scheinbar breit zu halten. Eine Schulform, die angeblich die anderen bzw. zumindest mehrere andere prinzipiell in sich enthält und die - mit der bei Reformvorhaben wie der Gesamtschule ausgeliehenen und erprobten Argumentation -finanziell und personell deutlich besser gestellt werden als die herkömmlichen Schulformen. Logisch ist das übrigens nicht nachzuvollziehen: Man steckt erst alle in eine Gruppe und gewährt dann mit dem Argument des daraus folgenden Differenzierungsbedarfs deutliche Vorteile gegenüber den Schulformen, die von vornherein strukturell differenziert sind ...

Und schon zeigen sich die ersten Folgen solchen Werbens: Sogar ein westfälischer Bürgermeister der CDU soll in bester Kirchturmpolitiker-Manier ernsthaft sein Bestreben auf die neue Reformschule für seine Kommune gerichtet haben.

Ist das „sanfte Schulreform“ oder knallhartes „divide et impera“? Schulkonferenzen und Stadträte beschließen die – von der rot-grünen Landesregierung entworfene und aus ideologisch-politischen Grundgedanken ins Leben gerufene - neue Schulform je vor Ort und die Landesregierung genehmigt über das Ministerium als Schulaufsicht diese neue Schulform als Sammlung örtlicher Schulversuche.
Bildungspolitik nach Art der Guerilla. Man hat auch schon gehört, das sei perfide.

Vor allem deswegen, weil man – in der Tat anders als in Hamburg – dagegen gar nicht in der Form von Volksbegehren oder Volksentscheid vorgehen kann.
Es gibt ja kein Gesetz, keine geschlossene Reformfront – nur lokale `Versuche´.
Und so kann Frau Löhrmann auf die Interview-Frage der RP, ob damit der Schulkrieg nicht nur in die Kommunen verlagert werde, getrost antworten: „Wir wollen keinen Schulkrieg. Und vor Ort wird es ihn auch nicht geben. Das wird pragmatisch entschieden. Wenn wir nicht handeln, müssen viele Schulen schließen. Das wollen wir nicht.“

Ich denke, dass es vor Ort doch zahlreiche Schulkriege geben wird. Aber sie werden – nach ersten Aufgeregtheiten - überregional kaum wahrgenommen werden: Die Schulreformdebatte im Sauerland im Aufmerksamkeitsrang einer Theaterpremiere in Bochum, des Vorlesewettbewerbs in Bocholt oder eben des in China umfallenden Sackes Reis.

Und die wirklichen Baustellen auf dem Weg zu besseren Schulen?
Die Intensivierung früher - und danach durchgehend forcierter - Förderung aller Lernniveaus,
die Verkleinerung der Lerngruppen, die flächendeckend erfolgende Intensivierung und Vernetzung der schulischen Arbeit durch die Schulpsychologie und Sozialarbeit, die permanente fachliche, didaktische und methodische Fortbildung der Lehrer, die umfassende Förderung ökonomischer Bildung der Lehrer und Schüler, die weitere Gewährleistung von Qualitätsniveaus im nationalen und im internationalen Vergleich, etc. etc. ?

Solche Problemebenen scheinen den Ideologen hoffnungslos nachrangig, ja geradezu gleichgültig zu sein.

Statt dessen will man schon mal Elemente der neuen Gemeinschaftsschule per Gesetz für die – wie wohl beabsichtigt – nur noch einige Zeit existierenden bisherigen Schulformen verordnen: Kein Sitzenbleiben, kein Schulwechsel auf eine leichtere Schulform für schwache Schüler, keine Kopfnoten, etc.
Sollen sich die `alten Schulformen´ - so lange es sie noch gibt – schon mal gewöhnen an die Ziele und inneren Strukturen der neuen Gemeinschaftsschulen...

Und wen stört es eigentlich, dass der Name „Gemeinschaftsschule“ für eine politisch neu zu installierende Schulform gar nicht zur Verfügung steht, weil dieser Begriff lt. Artikel 12 der Verfassung des Landes NRW rechtlich belegt ist: „Hauptschulen sind von Amts wegen als Gemeinschaftsschulen zu errichten.“ (Damit ist eine Unterscheidung von Bekenntnisschulen gemeint.)

In Abwandlung eines bekannten Satzes aus der ehemaligen DDR formulierte ein Kollege den politischen Schulreform-Impetus der gegenwärtigen Minderheits-Landesregierung in NRW so: `Die Schulreformen in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.´

- Fatal, wenn es dieses Mal stimmen würde!


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Verschenkt

Und dann war da in dieser Woche auch noch die jährlich unvermeidbare Studie der OECD: „Bildung auf einen Blick“. Und wieder – wie in jedem Jahr - nimmt die mittlerweile in dieser Sache gelangweilte Öffentlichkeit vielleicht gerade mal die Überschriften der Medien dazu wahr. So titelt z. B. die FAZ: „Deutschland soll die Studienquote steigern“ und Spiegel-online berichtet unter der Überschrift: „Bildungsrepublik Deutschland fehlen Studenten“.
Kennt man schon ... uninteressant ... jedes Jahr die selbe Leier ...
Schade. Aus mehreren Gründen.
Niemand fragt sich groß, wie denn diese Vergleichszahlen zustande kommen. Nur solche Fachkommentare wie der des Philologenverbandes weisen Jahr für Jahr darauf hin, dass die Grundbedingungen der Länder nicht unmittelbar vergleichbar sind und dass insbesondere die Populationen, die unter dem Begriff „Studenten“ erfasst werden, in den Ländern sehr unterschiedlich sind. So werden in der Bundesrepublik Jahr für Jahr unsere Absolventen der Bildungseinrichtungen wie die Fachakademien und Krankenpflegeschulen für Krankenschwestern nicht zu den Studenten gerechnet; in den USA etwa erhalten die aber als Bachelorstudenten keineswegs einen fachlich besseren Abschluss. Diese Verfälschung der Vergleichsstatistiken aber betrifft zahlreiche Berufsakademien in Deutschland. „Im Ausland dominiert das qualitativ nicht so anspruchsvolle Kurzstudium, in Deutschland Langstudiengänge und berufliche Ausbildungsrichtungen. Die Gleichsetzung von Quantitäten geht also völlig fehl. Das weiß auch die OECD, aber die Konsequenz, auf reine Prozentquotenvergleiche zu verzichten, würde diese Organisation ihrer pressewirksamen Katastrophenmeldungen berauben:, so der PHV.
Und SPIEGEL-online stellt fest: „Auch die Bildungsausgaben seien in Deutschland im internationalen Vergleich noch zu niedrig. Die gesamten öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildungseinrichtungen lagen laut OECD in Deutschland im Jahr 2007 bei 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Unter den OECD-Ländern, für die entsprechende Zahlen vorlagen, gaben nur die Slowakei, Tschechien und Italien einen geringeren Anteil der Wirtschaftsleistung für Bildung aus. Bei den Spitzenreitern USA, Korea und Dänemark lag der Anteil bei mehr als sieben Prozent des BIP. Da aber die OECD private und öffentliche Bildungsausgaben zusammenrechnet, ist fraglich, inwieweit sich einzelne Länder überhaupt vergleichen lassen. Denn es stehen sich so ungleiche Systeme wie das finnische und das dänische Modell dem privatwirtschaftlichen Ansatz in den USA gegenüber.“
Was sind dann – bei so grob unscharfen Parametern – die Vorwürfe an die BRD und die Forderung von nötigen Steigerungen wirklich wert?
Schade – wie gesagt – dabei erhält die OECD doch viel Geld für ihre Untersuchungen, insbesondere von Deutschland. Da kann man doch saubere und differenzierte Arbeit erwarten!
Und so gehen viele gute Anregungen wohl einfach unter: Die Feststellung des Anreizes etwa, mit einem Studienabschluss ca. 70 % mehr verdienen zu können und einen deutlich erhöhten Schutz vor Arbeitslosigkeit zu erlangen.
Oder die Feststellung, dass in der Bundesrepublik immer noch zu wenige Jugendliche die MINT-Fächer studieren (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Technik und Informatik), stattdessen in ein Überangebot in den Geisteswissenschaften hineinsteuern.
Und auch die in diesem Jahr gesonderte Studie zu der beruflichen Ausbildung bleibt weitgehend unbeachtet, obwohl doch auch dieser Bereich, der in Deutschland eindeutig auf der Habenseite der Bildung zu platzieren ist, noch verbessert werden kann, wie die OECD zeigt.
Und wer beachtet dann schon noch die Ergebnisse der Studie bis hin zu der brisant wichtigen Feststellung, dass zu viele Schulabgänger nur über unzureichende allgemeine Basiskompetenzen verfügen und dass die OECD empfiehlt, dass alle bei Beginn der Berufsausbildung Schreib-, Lese- und Rechentests ablegen sollten und ggf. gezielt Unterricht zu ihren Defiziten erhalten sollten.
Und so passiert das, was wir ab der kommenden Woche – wenige Tage nach der Veröffentlichung der Studie - erleben werden: Ein paar Zeitungsberichte sind erschienen, ein paar Fachleute haben sich geäußert, ein paar Politikerstimmen sind verhallt. Die Studie wandert ins Regal.
Und – das ist das Schlimme – viele dringend nötige Verbesserungen unterbleiben weiterhin, weil die OECD das, was die Schlagzeilen liefert, fachlich so schlampig erarbeitet hat und gute, wichtige Details damit in ihrer Präsentation verschüttet.
- Schade. Verschenkt.
Schade nicht um die OECD, schade um die nötigen Verbesserungen der Bildungswege und Bildungschancen unserer Kinder und Jugendlichen.